Mein großer Freund Max und ich...

Oktober 2007

 

Einen viel schlechteren Start als Max und ich ihn hatten, kann man wohl nicht haben.

 

Als ich Max kennen lernte war ich sehr krank und er ein unausgeglichenes, nervöses Pferd, dass mit den Zähnen knirschte, kniff und bei jedem Geräusch zusammen zuckte. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen dieses Pferd zu reiten. Das verfestigte auch meinen Beschluss, den ich nach dem Tod von Mutabor gefasst hatte, nicht mehr zu reiten, weiter als er ohnehin schon war. Ich wusste zu der Zeit noch nicht, dass ich krank war. Ich war nur ständig müde, hatte keine Kraft mehr und wollte nur schlafen. Viel mehr hab ich auch nicht gemacht. Meine Besuche im Stall wurden immer weniger und mir fehlte nicht nur die Kraft, sondern auch die Ambition um zu den Pferden zu fahren. Die Male, die ich da war, waren immer sehr kurz und eigentlich war ich auch nur da, um Katja zu zeigen, dass ich nicht ganz das Interesse verloren hatte, denn ich merkte wohl, dass Katja und auch die anderen Mädels im Stall sich Sorgen machten.

 

Ein paar Wochen später wurde bei mir Diabetes Typ I diagnostiziert. Für manche wäre diese Diagnose mit Sicherheit ein Schock gewesen, doch ich war nur froh endlich zu wissen, was mit mir los war. Ich ging ins Krankenhaus um mich auf Insulin einstellen zu lassen. Ich war fasziniert darüber, wie schnell es mir wieder besser ging und die Kraft wiederkehrte. Mein Entschluss nicht wieder zu reiten blieb aber bestehen. Der Tod von Mutabor hing zu tief in meinem Herz, als das ich ihn wieder umwerfen wollte. Mutabor war für mich das Idealbild von einem Reitpferd, und solange er da war, konnte ich mir kaum vorstellen, mein Leben ohne zu reiten zu bestreiten. Aber nun war alles anders. Er war nicht mehr da und mit dem Pferd, was nun im Stall stand wollte ich mich nicht wirklich anfreunden.

 

Die Wochen nach meinem Krankenhausaufenthalt waren für mich schwer. Die Umstellung ständig auf meinen Körper hören zu müssen, den Blutzucker zu messen, und bloß nicht das Insulin zu vergessen, beschäftigten mich sehr. Dazu kam noch ein Sehproblem, dass daraus entstand, dass sich der festgesetzte Zucker aus den Sehnerven löste, erschwerte mir zusätzlich den Alltag. Ich fuhr ein paar Mal mit dem Bus in den Stall und Katja brachte mich abends zurück nach Hause, doch auch bei diesen Besuchen konnte ich mich nicht mit dem Max anfreunden. In diese Box gehörte einfach ein Schimmel, mit Mandelaugen, der seine Stirn an meinem Brustbein rieb und nicht dieses gelbe, große Pferd, dass mich mehr oder weniger ignorierte.

 

Mit der Zeit ging es mir immer besser, ich konnte langsam wieder richtig sehen und somit auch wieder Auto fahren. Ich überwand mich, wieder ein paar Mal öfter nach Tangstedt zu fahren. Denn neugierig war ich schon, wie Katja mit dem Max zurecht und weiter kam. Am Telefon erzählte sie mir von einigen kleinen Fortschritten und manchen Rückschlägen. Außerdem wollte ich mich nicht ganz von den Pferden abwenden. Und schon gar nicht von Katja, die mich meinen ganzen reiterlichen Weg begleitet hat, mir alles beigebracht hat, was ich über Pferde weiß und die für mich wie eine zweite Mutter ist. Also sattelte ich die Hühner und machte mich wieder auf den Weg.

 

Ich war zwar skeptisch was den Max betraf, aber er hatte wirklich Fortschritte gemacht. Er guckte aufmerksamer, interessierte sich für seine Umwelt und suchte zum ersten Mal wirklich den Kontakt mit mir. Er war nach wie vor nervös und hatte sich auch immer noch nicht richtig eingelebt, doch man konnte erkennen, dass er den richtigen Weg einschlagen wollte. Meine Neugier fachte er damit an und ich musste einfach wieder mehr Zeit im Stall verbringen.

 

Mit der Zeit konnte ich es akzeptieren, dass nun Max in Mutabors Box stand und ich versuchte zumindest im Umgang mit Max eine erste, zarte Bindung aufzubauen. Es ging langsam mit uns voran aber grün waren wir uns noch lange nicht. Und reiten wollte ich immer noch nicht.

 

Max und ich freundeten uns erst an, als ich eines Abends in der Nähe vom Stall war und noch einmal ausstieg um zu sehen, wie es ihm ging. Als ich vor seiner Box stand sprach ich leise zu ihm. Er spitze zwar die Ohren, doch er kam nicht zu mir. Stattdessen knirschte er mit den Zähnen. Ich redete weiter mit ihm, doch er rührte und rührte sich nicht. Eine zeitlang schauten wir uns nur an und irgendwann kamen mir die Tränen. Ich weinte um meinen weißen Freund Mutabor, um die Vergangenheit und die sehr ungewisse Zukunft mit Max. Es dauerte Ewigkeiten, bis ich mich wieder beruhigt hatte und wieder zu Max sah. Er stand weiterhin wie angewurzelt in der Box und musterte mich. War ich Freund oder Feind? Aber irgendwann siegte seine Neugier und er trat ein paar Schritte näher an mich ran und streckte mir seine Nase entgegen. Ich hielt ihm meine Hand hin, damit er daran riechen konnte und er fing an daran zu lecken. Wieder lief mir eine eiserne Träne über die Wange, denn das war mehr, als ich von Max erwartet hatte.

 

Ab diesem Zeitpunkt ging es mit uns sachte aufwärts. Der Umgang mit ihm fiel mir leichter und er fing an, mir hinter her zu sehen, wenn ich da war. Ganz langsam machten wir Fortschritte. Seit Max zu uns gekommen ist waren mittlerweile vier Monate vergangen. Es war Mai als Katja mich fragte, ob ich nicht mal aufsteigen wollte. Meine Reaktion überraschte wohl uns alle. Ich stieg auf. Es war ungewohnt und so ganz anders, als das was ich gewohnt war. Ich saß auf Max und ging ein paar ruhige Runden mit ihm im Roundpen. Irgendwann trabte ich ihn an. Es war alles anders, aber ich fühlte mich gut dabei. Nach zehn Minuten stieg ich ab. Es sollte sich nun wieder alles ändern...

 

Mittlerweile haben Max und ich zwei Hausturniere mitgemacht und in diesem Jahr sogar unsere hauseigene Dressur gewonnen. Wir haben uns gut aneinander gewöhnt und ich hätte nie gedacht, dass mich gerade er wieder dazu bringen würde, aufs Pferd zu steigen. Doch auf seine ganz eigene Art und Weise hat er mein Herz erobert. Er hat sich in den eineinhalb Jahren, die er nun bei uns ist sehr verändert. Er ist anhänglich geworden, er liebt es, wenn man stundenlang mit ihm rumtüdelt, ihn putzt und sich mit ihm beschäftigt. Er ist ehrgeizig geworden und viel, viel sicherer mit sich selbst. Beim Reiten fängt er schon mal an zu diskutieren, ob wir die Figuren auf seine oder auf meine Art reiten, und vor allem hat er Vertrauen bekommen.

 

Manchmal besuche ich ihn abends, und es ist gar nicht lange her, da kamen mir bei einem dieser Besuche wieder die Tränen. Momo stand in der Box und döste vor sich hin, ich weckte ihn nicht. Vielmehr suchte ich Max. Er stand draußen auf seinem Paddock und schaute auf die in die Nacht getauchten Koppeln. Als ich an den Zaun trat drehte er seinen Kopf zu mir und grummelte mir leise zu. Ich hätte nie gedacht, dass er jemals so zärtliche Geräusche von sich geben würde. Er kam zu mir und ich flüsterte ihm freundliche Sätze ins Ohr und krauelte ihm unter der Mähne. Eine zeitlang standen wir Stirn an Stirn gelehnt auf dem Paddock und genossen die Stille. Dann senkte Max seinen Kopf und rieb seine Stirn ganz leicht an meinem Brustbein. Die Tränen kamen unweigerlich, denn diese sanfte Geste, war mir von meinem weißen Freund Mutabor noch so vertraut. Sie weckte Erinnerungen an vergangene Zeiten, und ein ungemein gutes Gefühl für die Zukunft mit Max. Er traf mich mit dieser kleinen Geste tief im Herzen. Max wird zwar niemals Mutabor ersetzen können, doch er hat für mich ein neues Kapitel aufgeschlagen und er hat es geschafft einen neuen Teil in meinem Herzen zu öffnen. Wir haben zueinander gefunden.

 

Mein großer Freund Max und ich.